Mal- und Fotobuch der Empfindlichkeiten
Bodo Bremer präsentierte sein Buch “Ansichten, Einsichten, Weltsichten” in der Heidelberger Stadtbücherei
Von Milan Chlumsky
“Heute habe ich mich schon eigenartig gefühlt, heute war der Tod ganz nah bei mir. Ich konnte ihn nicht spüren, konnte ihm nur erahnen. Das war aber schon eigenartig genug. Nicht unangenehm, nicht beängstigend für mich, er war ganz einfach in der Nähe ... Bin gleich zu unserer Mutter, habe ein Lichtlein entzündet. Ich wollte einfach spüren, ob sie noch da ist, ein wenig da ist, sie war da. Es war gut, dass ich ein Licht für sie entzündet habe, heute am 04. Dezember 2003.”
Diese Inschrift unter einem übermalten Foto - ein Fahrrad, das sich gegen eine Bank lehnt, ein schüchternes Kerzenlicht das sich gegen den aukommenden Dezemberwind behauptet und wo man andere Gräber wahnt, die unter grün-gelb-weissen Schaffuren verschwunden sind – ist mit Sicherheit eines der ergreifendsten Eintrag im Künstlertagebuch von Bodo Bremer, das 2003 beginnt und 2005 endet.
Es ist das Grab der Mutter des Künstlers, es ist noch eine Weile bis Weihnachten hin, es hat noch nicht noch nicht in Heidelberg geschneit. Dass der Gang zum Friedhof über die Unausweichlichkeit des Todes Gedanken an eigene Sterblichkeit begleitet, ist unabdingbar. Dass es weder beängstigend noch unangenehm sein kann, zeugt von einer Dimension des Empfindens, die nicht jedem zugänglich sein muss: Aber dies ist eben das Überraschende in den Tagebucharbeiten von Bodo Bremer. Mag ein Tag traurig, düster, neblig und regnerisch sein, bedeutet es keinesfalls, dass der Künstler den äußeren Impetus folgt. Ein schöner Tag kann das Gegenteil an Empfindungen bewirken.
Ein kleiner Teil der jetzt im Braus Verlag erschienen “Tagebuchaufzeichnungen” von Bodo Bremer war schon in einer Ausstellung in der “Goldenen Sonne” vor einigen Monaten zu sehen: Es handelt sich dabei um Nichts Geringeres als jeden Tag ein Thema, eine Idee und ein Bild in Gedanken parat zu haben, die dann mit Hilfe einer digitalen Kamera, bunter Stiften und farbigen Tinte endgültige Form bekommen. Waren es in der „Goldenen Sonne“ nur etwa zwanzig Arbeiten, die aus Platzgründen ausgestelltet werden konnten, so fasst das Buch über 100 Mischtechniknotizen, die hauptäschlich Auskunft über Heidelberg, über Wetter, über das Geschehen auf der Straße oder über Erinnerung auf Früher geben.
Die Übermalung mit Buntstiften betrifft immer ein Teil des Bildes – meist bleibt das signifikante Teil (Straßen, Gebäude, Autos, Landschaftausschnitte) der schwarzweissen oder auch farbigen Fotografie „unbehandelt”. Auf der anderen Seite akzentuiert Bremer bestimmte Konturen, verleiht dem Himmel grelle – seinem momentanen Empfinden entsprechende – Farben, die anschließend das gesamte Bildgeschehen dominieren. Umgekehrt werden ganze Landschstriche mit bunten Farben überdeckt, so dass ein Einklang zwischen dem Verlangen, eine Landschaft nach eigenen Gedünken wiederzugeben und der, diesem Verlangen entgegegentretenden kruden Realität der „durchindustrialisierten” Landschaft als schön zu empfinden, erweisst sich als kaum zu überwindedes Hinderniss. Es hilft dann nur die Sprache und die Rückbesinnung an das ursprüngliche Empfinden – als ob die schriftliche Äußerung die fehlende „Schönheit“ zurückholen könnte.
Der Künstler spürt genau dieses Dilemma: In der durch die rauchende Schornsteine, durch die Silhouetten der Hochspannungsmasten und die in der Ferne schimernden Industriegebäude wird der dahinter liegenden Leimener Bergkette ihre Schönheit genommen. Ein Dilemma, das auch durch den völligen Verzicht auf eine genaue Wiedergabe der so charakteristischen Landschaft er nicht aufzulösen vermag und die sich letztendlich in das Gegenteil umkehrt: die Natura naturans wird von der industriellen Landschaft verdrängt. Bremer möchte keinesfalls als nur Kartograph dieser Landschaft gelten. Zu hoffen, dass sie sich eines Tages gründlich verändert – das hält der Künstler für ein zu kühnes Gedanke. Für jemandem, der seit mehr als einem halben Jahrhundert die Entwicklung der Stadt und ihrer Umgebung erlebt hatte, ist es kaum vorstellbar, dass die Veränderung zu Gunsten der Landschaft und nicht der Industrie geschieht. Dennoch sieht er es als seine Pflicht an, über den „Zustand“ dieses Landschaftsabschnitts Kund zu geben (24. Februar 2004).
Nach der großen gemeinsamen Malaktion 2001 -2002 mit Dirk Jüngling, in dem die beiden Künstler in mehr als 100 Sitzungen an die 300 Zeichnungen und Bilder verschiedener Heidelberger Motive jeweils aus der eigenen Perspektive gemacht haben – setzt Bremer diese “Tradition” allein fort. Wie damals steuert er eigene Texte dazu, wie damals ist es mal liebevoller, mal kritischer, mal enttäuschter, mal zarter, mal fast wütender Blick auf seine Stadt, die sein Mal-Tag dominiert.
Dennoch gibt es einige kritische Momente: die handschritftlichen Notate von Bremer sind nicht immer leicht zu lesen, denn die farbige Schrift auf farbigen Untergrund hebt sich manchmal zu wenig voneinander ab: einige Worte muss man erraten. Die bewußte Wahl einer digitalen Kamera, die Schnappschüsse liefert, bezeugt, dass es dem Künstler nicht darum ging, scharfe und technisch perfekte Bilder zu liefern. Vielmehr will er diese Schnappschüsse als Notate wissen, weil nur so kann der Künstler ein Einklang zwischen einer unmittelbaren Empfindung und der daraus resultierden Bildstruktur aufrechterhalten. Ob aber mehr „Schärfe“ den Bildern nicht gut getan hätte, ist - ungeachtet einiger bewußten „Wischeffekte“ - eine mehr als berechtigte Frage.
Im Unterschied zu der großen Kunstaktion mit Dirk Jüngling, die sich auf Heidelberg beschränkte, entstehen jetzt auch Notizen von Unterwegs: Dresden, die Rückreise aus Klagenfurt sind es Wert, zum Empfindungskorpus zu gehören. Es entsteht dadurch ein Panorama von Eindrücken, in denen die versatile und sensible Künstlerhand nach adequaten Ausdruck sucht und die eben dort, wo sie am schlichtesten (etwa in der Rückreise aus Klagenfurt) und am sparsamsten sind, die größte Wirkung erzeugen.
In der Heidelberger Stadtbücherei sind noch bis 3. Dezember einige Arbeiten von Bodo Bremer ausgestellt. Das in der Edition Braus erschienene „Tagebuch“ kostet 29 Euro.
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